VERSICHERUNGEN rät unter Stress. Gleichzeitig versteht der Kunde dieses Problem rund um sein Informations- und Servicebedürfnis nicht, weil er es längst von Amazon und Co. gewohnt ist, immer zu wissen, was gerade wie und wo passiert. Die gute Nachricht ist, dass genau daran bei vielen Versicherern gerade gearbeitet wird. Seit Jahren gibt es die BiPRO e.V., eine neutrale Organisation, die zwischen den Partnern, Versicherung, Vermittlern und Dienstleistern einen einheitlichen Datenaustausch für unternehmensübergreifende Geschäftsprozesse orchestriert. Da hat sich viel getan. Und BiPRO ist nur ein Beispiel. Auch außerhalb solcher Organisationen wird an gemeinsamen Datenstandards gearbeitet. Free Insurance Data Initi- ative, kurz FRIDA, gehört ebenso dazu wie auch etliche neue so- genannte Open-API Standards für einfache Schnittstellen zwischen Versicherern und Partnern. auf beiden Seiten, dem Geschädigten und dem Versicherer, sicherlich Nerven. Moderne digitale Technik kann hier den entscheidenden Unterschied machen. Spannend sind hier aktive KI-gestützte Bilder- kennungssoftwarelösungen, die bei einem Kfz-Schaden anhand der übermittelten Fotos bereits Rückschlüsse auf den Schadenhergang treffen können, und über den Abgleich mit einer KI in der Daten- bank erste Hochrechnungen auf die Schadenhöhe und die einzulei- tenden Werkstattarbeiten ausgeben können. Hier ist Geschwindigkeit erfolgsentscheidend: Den Kunden freut es, wenn der Fall schnell erledigt ist, den Controller ebenso, denn eine schnelle Schadenbeur- teilung, Reparatur und damit geringe Standzeiten plus geringe Zeiten für ein Ersatzfahrzeug erspart viel Geld. Geld, das wiederum in ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis gesteckt werden kann, und das wiederum dem Kunden dient. Der ganze Prozess muss digital gedacht werden Spannende Zukunft für digitale Kfz-Versicherungen Wir sind hier aber immer noch beim ersten Abschnitt einer Versi- cherung, also Tarifierung, Angebot, Antrag, dem TAA-Prozess. Eine Versicherung wird aber nicht für einen Tag oder einen kleinen Zeit- raum abgeschlossen, im besten Fall begleitet uns eine Versicherung ein (Auto-)Leben lang. Da ist TAA im Grunde nur das Einfallstor für eine Vielzahl von Geschäftsvorfällen im Betrieb eines Versiche- rers, die im Laufe des Lebens einer Kfz-Police passieren – und bes- tenfalls digital ablaufen sollten. Es wird immer wieder übersehen; aber auch vermeintlich banale Prozesse entscheiden darüber, ob ein Kunde oder der betreuende Vermittler seinem Versicherer langfristig treu bleibt. Hier sind insbesondere die Faktoren „Einfachheit“ und „Geschwindigkeit“ ausschlaggebende Erfolgsfaktoren. Wenn eine Adressänderung zu einem längeren, papierintensiven Staatsakt wird, kann das schnell Kunde und Vermittler verprellen. Gleiches gilt auch für Bankverbindung und zusätzliche Einschlüsse, beispielsweise weiterer Fahrer oder den Einschluss einer Insassen- unfallversicherung. All das sollte schnellstmöglich digital und mit sofortiger Bestätigung aller angestoßenen Vorgänge in Echtzeit ge- hen. Leider gibt es das heute noch nicht überall. Und neue Vermitt- lergenerationen und die jungen Kunden werden das so in Zukunft nicht mehr akzeptieren. Die digitale Generation wird mit den Fingern abstimmen und den alten Anbieter zur Seite wischen und sich einem transparenten, schnellen, digitalen Angebot zuwenden. Das ist kein Trend, das ist gelebte Realität. Bei immer identischer werdenden Leistungen ist Service kein Hygienefaktor mehr – es ist die entscheidende Währung im Kampf um den Kunden. Service und schlanke Prozesse entscheiden Nach TAA und Betrieb fehlt noch eine der fundamentalsten Ei- genschaften eines Versicherers. Er übernimmt das Risiko, bearbei- tet und übernimmt den finanziellen Schaden und sorgt somit für die existentielle Absicherung des Kunden. Je schneller und präziser das geht, umso zufriedener ist der Kunde, aber auch umso effizienter und günstiger wird es für den Versicherer. Hier ist unheimlich viel passiert bei der Schadenerfassung. Vieles erfolgt digital und online, gleich mit allen notwendigen Fragen, etwa bei einem Unfall, hochla- den von Schadenfotos, automatischem Auslösen von Folgeprozessen wie Gutachtern und Werkstatt-Terminen. Alles richtig und wichtig, aber es gibt noch weitere spannende Entwicklungen in dieser Richtung im Markt. Gerade der Bereich der digitalen Bilderkennung bietet hier noch viel Potential. Digitalisie- rung kann hier beim FNOL-Prozess sehr erfolgreich eingesetzt wer- den. FNOL, First Notification of Loss, also die schnellstmögliche In- formation an den Versicherer über den Schaden, spart bares Geld und Nicht vergessen darf man bei all der Prozess- und Servicedigita- lisierung das Produkt selbst. Schauen wir uns die deutsche Tarifland- schaft im Kfz-Bereich einmal genauer an: systembedingt befindet man sich in einem starren Korsett. Der Kunde und sein Risiko wer- den an wenigen vergangenheitsbezogenen Informationen beurteilt: Schadenfreie Jahre, Wohnort, Alter, Alter des Kfz und Einstufung des Kfz nach Leistung, Schaden- und Diebstahlhäufigkeit, um mal die Wichtigsten zu nennen. Und das ist ganz natürlich, weil der Versicherer Kollektive bildet und Kunden in Kundengruppen mit gleichartigen Risiken einteilt, um daraus wiederum seine Risiko- und Prämienkalkulation abzuleiten. Das war schon immer so, wird aber in Zukunft mit digitalen Telema- tikanwendungen nicht überall, aber an vielen Stellen aufgebrochen werden. Echtzeittelematik übermittelt nutzerspezifische Bewegungs- daten, diese werden zu Profilen zusammengefasst und beispielsweise als Fahrer-Score abgelegt. Je nach Score fährt ein Fahrzeughalter also entweder angepasster und vorsichtiger oder aggressiver, beziehungs- weise dynamischer. Das hat dann Einfluss auf die Versicherungsprämie. Kunden, die es möchten, haben dank Telematik also die Chance, einen Nachlass auf ihre Versicherungsprämie zu bekommen. Per se müssen nämlich Besitzer eines leistungsstarken Sportwagens nicht höhere Risiken ha- ben, weil sie ja trotzdem angemessen fahren können. Ein Fahranfänger, der für den Versicherer mangels historischer Daten mit das größte Risiko darstellt, kann sich in Zukunft betrachtet bei vorsichtiger Fahrweise ebenso einen erheblichen Rabatt erfahren. Er spart damit Geld, das er so normalerweise in seiner Einstufung der Schadenfreiheitsklasse SF 0 nicht einsparen würde. Die Preisgabe von den eigenen persönlichen Daten macht durchaus einen Unter- schied im Geldbeutel. Dabei ist das nur die Spitze der Anwendungen. Der Kfz-Versicherungsbereich wird in Sachen Telematik in Zukunft weitere spannende Tarifierungsmodelle bereithalten. Man kann hier auch über neue Wege im Carsharing nachdenken, da man nun über die verschiedenen Nutzer eines Carsharings genaue versicherungsrelevante Daten hat, also nicht nur wer wann gefahren ist, sondern vor allem auch wie. Gleiches gilt für Flotten von Firmen- fahrzeugen, bei denen die Fahrer wechseln, die Fahrzeuge aber nicht. Kurzum: auch hier bietet die Digitalisierung noch viele Möglichkei- ten und Phantasie, das Angebot der Versicherer deutlich vielschich- tiger und spannender zu machen. Es bleibt spannend zu beobachten, wie sich der deutsche Versicherungsmarkt hier aufstellen wird. Autor ist Stephen Voss, Vertriebs- und Marketingvorstand der Neodigital Versicherung AG. Cash. 4/2022 21